JUNGER FILM: Das abstürzende Luftschiff: Wie eine Lupe

Klischees über Klischees: Der Böse spricht Russich, die Arbeiter Indisch, Frauen werden nicht ernst genommen und mit etwas Glänzendem ruhig gestellt. Ob „Das abstürzende Luftschiff“ trotzdem sehenswert ist? – Ein Kommentar

Natürlich tuschelt der böse Bürgermeister seinem Gehilfen etwas auf russisch zu. Wie hätte es auch anders sein können. Seit dem Kalten Krieg gibt es wohl kaum eine Kultur, die besser einen korrupten, totalitären, verdorbenen Gegenspieler darstellt. Jedenfalls in den Augen eines westlich erzogenen Publikums. Der Kellner spricht Indisch. Wobei darin auch keine Mitteilung auf Metaebene liegen müsste, das Luftschiff international zusammengestellt ist und indisches Essen weltweit genossen wird. Vielleicht.

Der Kurzfilm „Das abstürzende Luftschiff“ irritiert mich. Kaum ein Film-Klischee, was nicht bedient wird. Und das macht ihn gerade sehenswert.

Die Welt der handelnden Personen ist das Luftschiff, welches am Abstürzen ist. Wie eine Bühne schafft das Luftschiff einen klar nach außen hin abgegrenzten Raum, in dem alle Handlungen sich direkt auf das Schicksal des Schiffes auswirken.

Die Protagonistin Franziska mit einer Vision und großen Ambitionen zur Rettung ihrer sinkenden Welt wird nicht einmal von einem Freund Tom ernst genommen. Seine Liebeserklärung beim Treffen in einer Bar untergräbt kurzzeitig ihre Ernsthaftigkeit. Wortwörtlich ist es eine Liebes- Erklärung. Denn es bedarf zusätzlicher Informationen, dass seine Gefühle, Liebe im Allgemeinen und speziell seine, wichtiger sind als alles andere und Franziska die Situation verkennt. Die Prioritäten falsch setzt. Die Erklärung ist in der Situation unangebracht und dient nicht ihrer Unterstützung. Aber immerhin hat Tom ihre Rede gegengelesen und korrigiert. Das Ende der Rede komplett umgeschrieben. Mit dieser Rede möchte sie vor den Bürgermeister treten und den Untergang aufhalten.

Beim Bürgermeister hört dieser ihr zu und zeigt sich auch augenscheinlich begeistert, den Schluss der Rede lobt er in höchsten Tönen. Was daran so besonders sein soll, bleibt offen. Am Ende ehrt er Franziska mit einer Goldmedallie und einem feuchten Händedruck.

Die Ironie dabei ist, dass gerade Gold und Steine wie die der Kathedrale als Rettung des Luftschiffes über Bord geworfen werden könnten. In der letzten Szene zurück in der Bar erklärt die ursprüngliche Heldin ihre Mission für erfolgreich, sich selbst als zufrieden. Beinah Gehirn gewaschen wirkt sie und ich frage mich, ob das einem männlichen Hauptdarsteller ebenfalls so ergangen wäre. Abschließend werden die Beiden dazu aufgefordert, sich festzuhalten, da das absinkende Schiff in Turbulenzen gerät.

Innerhalb von diesen 13 Minuten schaffen es Ivan Dubrovin und alle Mitwirkenden eine Vielzahl von Themen anzuspielen. Manche davon metaphorisch dargestellt, andere ziemlich deutlich. Welche davon wahrgenommen werden, hängt vermutlich zu großen Teilen mit der Wahrnehmung, dem Filter der Zuschauenden zusammen. Das abstürzende Luftschiff als Sinnbild der globalen Klimakrise, wofür auch die internationale Zusammenstellung der Bewohnenden stehen würde, Kapitalismuskritik mit der Lösung, das Gold über Bord zu werfen. Vielleicht sogar Kirchenkritik. Die schweren Steine der Kathedrale, das Unverrückbare, beschleunigen den Untergang. Dann die Auseinandersetzung mit Vorurteilen und abschließend noch die Kraft des Honig-ums-Maul-Schmierens und die Stärken beziehungsweise Schwächen von Frauen. Das sind zumindest die Themen, die ich sehe.

Dabei beantwortet der Film keine offene Fragen, stellt keine Lösungen vor. Die Figuren und ihre Handlungsweisen sind gleichzeitig vorhersehbar und im nächsten Augenblick überraschend. Da der Handlungsort, das Luftschiff, klar abgegrenzt ist und die Situationen künstlerisch überspitzt dargestellt sind, kann der Film wie eine Lupe wirken. Große gesellschaftliche Probleme in Kurzfilmlänge dargestellt.


Text: Greta Markfort

Dieser Film läuft in Block 5 des Wettbewerbs JUNGER FILM beim FiSH – Filmfestival im Stadthafen.

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