STYX: Die einsame Frau und das Meer

Bild: Zorro Film GmbH

Eine Yacht auf dem Atlantischen Ozean: Wind in den Segeln, weit und offen ist der Blick übers Wasser und über endlos viele Wellen. Abenteuerromantik weht als leichte Brise über das glitzernde Wasser, bis der Sturm übers Bootsdeck hinweg peitscht.

Doch die Handlung beginnt in Köln: es ist Nacht, eine regennasse Straßenkreuzung, schnelle Autos heizen durch die Kurve, ein anderes Auto weicht aus, verliert die Kontrolle, verunglückt.

Die Perspektive wechselt, die Kamera schaut von oben flach auf die Szene. Sirenen werden lauter. Feuerwehr, Polizei, der Rettungswagen trifft ein. Die Notsituation wird wieder beherrscht, die Notärztin Rike gespielt von Susanne Wolff bringt mit Ruhe die Kontrolle zurück. Der Ablauf ist klar, die Handgriffe sitzen. Die Rettungskette funktioniert reibungslos bis das Leben dieses Mensch sicher ist.

Szenenwechsel, vom Alltag in den Urlaub. Im Hafen von Gibralta: die Ärztin in Seglermode beläd ihr Schiff mit Vorräten. Die Vorbereitung sind ordentlich sotiert, wieder sind die Handgriffe klar, es wird eine lange Fahrt, es ist sind Nahrungsmittel, Trinkwasser und Ausrüstung im Rumpf zu verstauen. Das Equipment sieht nicht schäbig aus, aber auch nicht nach Luxus oder Vollerrei.

Der Törn beginnt, raus aus dem Hafen mit den großen Container- oder Tankschiffen, weiter auf die glitzernde See. Rike ist allein an Board. Ihre elf Meter große Yacht ist ein sogenannter Einhandsegler. Selbstständig, mutig steuert sie hinein in die abenteuerliche Wildnis der Elemente von Luft und Wasser. Ihr Reiseziel kommt dem Paradies gleich: Ascension Island. Eine Insel bei Sankt Helena, südlich des Äquators, zwischen den Afrikanischen und Südamerikanischen Kontinenten.

Und mich zerreißt die Spannung meiner Erwartungen! Doch ich werde nicht enttäuscht. Die Geschichte STYXs mag schnell erzählt sein. Kurzweilig ist sie keineswegs. Das ganze Filmwerk ist vollgestopft von Parallelen zu klassischen Werken ( Dantes Inferno ), Elemente aus der griechischen Mythologie ( Styx ist ein Fluss der Unterwelt; Wasser des Grauens ) oder Verweise auf spannende Tatsachen der Menschheitsgeschichte ( Ascension Island war ursprünglich eine karge Landschaft, ist aber um 1860 von Charles Darwin als erstes und erfolgreiches Terraforming-Experiment bepflanzt worden und bis heute eine vielfältiges, selbsterhaltendes Ökosystem).

Im völligen Gegensatz zu dieser überbordenden Fülle benötigt man zum Verstehen nichts davon. Für mich haben die Bilder funktioniert: langsam, ruhig, unaufhaltsam kommt die Begegnung der zwei Boote auf offener See auf uns zu; auf die Protagonistin, auf die Zuschauenden.

Der Blick der Kamera löst sich kaum ein Bild lang von der Heldin, nüchtern beobachtet sie das Segeln, das Wasser, das Wetter, das Unglück. Im Kontrast dazu stehen die Geräusche, der Wind, die Wellen. Sie rauschen, lassen die Sportyacht klappern und bringen die unerbittliche Nähe zwischen die Darstellenden: Das Meer und die Menschen.

Mächtig sind die Wogen der Geschichte, gewaltig ist die politische Thematik dahinter, und nicht wenig emotional aufgeladen ist diese in Europa, so fern ab von den wirklichen Tragödien in überladenen Booten zwischen zwei Küsten, zwischen einer ersten Welt und den Welten außerhalb der Grenzen dieser.

Beeindruckend zusätzlich zu den malerischen Naturbildern ist der Prozess, welcher hinter den Kulissen statt fand. Bereits das Schreiben am Drehbuch fing vor 2015 an, und damit vor der medienpräsenten Flüchtlingskrise in Europa. Ika Künzel und Wolfgang Fischer haben sich mehrere Jahre Zeit gelassen, die Thematik zu recherchieren und eine schlüssige aber auch stark reduzierte Handlung aufzuschreiben. Bei der Umsetzung sind zwei große Details hervorstechend. Erstens sind die Bootsszenen zum größten Teil auf dem Atlantischen Ozean gefilmt worden. Angefangen bei den schwierigen Bedingungen für die Filmtechnik und dem relativ geringen Platz für eine achtköpfige Crew auf einer Einhand-Segelyacht, enden diese Bemühungen geradezu in der kraftvollen Präsenz des Meeres als Protagonist. Dokumentarisch zeigt die Kamera von Benedict Neuenfels die Segelmanöver an Bord der Protagonistin Rike und die Realität der Ozeane. Fast ohne Dialoge agiert Rike selbstständig und allein, zwischen Sonnenuntergangslicht und steifen Böen ist die See der Kontapart zur Heldin. Segelbegeisterte Zuschauer*innen werden ganz auf ihre Kosten kommen bei den vielen detailierten Einstellungen.

Der zweite sehr bemerkenswerte Fakt ist die Kooperation des Films mit Geflüchteten. Mehrere Einzelpersonen hatten die Filmemacher*innen während der langen Entstehungsphase beraten. Es hat sich auch eine Zusammenarbeit mit dem Verein One Fine Day e. V. Nairobi, aus Kenia, ergeben. Über dieses Projekt wurde die zweite handelnde Hauptperson gecastet. Gedion Oduor Wekesa spielt Kingsley. Und auch weitere Besatzungsmitglieder des Fischerbootes sind Schüler*innen und Mitwirkende des Vereins.

Am Ende bleibt ein salziger Geschmack bei mir zurück und Respekt für das ganze Projekt STYX!

STYX hat bei der 68. Berlinale mehrere Preise von unabhängigen Jurys erhalten, u.a. den Heiner-Carow-Preis der DEFA-Stiftung und von der Initiative zur Förderung des europäischen Films das LABEL EUROPA CINEMAS.

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