24 Wochen: Tiefer als unter der Haut

„24 Wochen“ ist eine Tragödie, welche zwei Kindern gewidmet ist – einem lebendem und einem toten.

Foto: Friede Clausz
Foto: Friede Clausz

Astrid (Julia Jentsch), Markus (Bjarne Mädel) und ihre Tochter Nele (Emilia Pieske) wirken in den ersten Szenen wie die moderne Bilderbuchfamilie. Selbst nach der Diagnose Down-Syndrom bei ihrem Ungeborenen sammeln sie sich rasch und blicken mit Stärke in die Zukunft. Als bei folgenden Untersuchungen ein schwerer Herzfehler des Fötus erkannt wird, steht die Frage des Schwangerschaftsabbruchs im Raum. Auf der Suche nach der Antwort drohen sie zu zerbrechen.

Anne Zohra Berracheds Spielfilm mit dokumentarischen Elementen zählt zur Kategorie der unbequemen Themen. Mit unglaublich viel Feingefühl, wundervollen Kameraeinstellungen und überragenden Schauspielern schafft es „24 Wochen“ die Problematik des Schwangerschaftsabbruch aus dem Abseits der Tabuthemen in die Mitte des Herzens zu katapultieren. Bei der inhärenten Wucht des Themas tut das weh, sehr weh. Auch lange nach dem Abspann. Ein solch empathisches Empfinden hat sonst noch kein Film in mir ausgelöst – das wohl größte Kompliment, welches ich machen kann. Danke dafür.

Kurz nachdem ich aus dem Kino gestolpert bin, sitze ich schon mit dem Drehbuchautoren Carl Gerber und Produzent Johannes Jancke im Stadtkrug. Es gibt Bier, Bratwurstpfanne und Ofenkartoffel. Bei so viel Bodenständigkeit und Sympathie kommen wir schnell ins Gespräch und ich vergesse fast, dass ich den Auftrag für ein Interview aus der Zentrale habe. Aber Achtung, Spoiler Alert!

1. Welche Atmosphäre herrschte am Set? Muss man sich bei der Auseinandersetzung mit einem emotional so aufwühlendem Thema wie diesem, gewissermaßen abschotten?

Johannes: Es ist wichtig ist zu erwähnen, dass „24 Wochen“ ein studentischer Film mit entsprechend kleinem Budget und Honoraren ist. Jeder, der daran mitwirkte, hat sich sehr bewusst dafür entschieden. Dementsprechend war thematisch schon vieles vor dem Dreh geklärt, es wurden viele inhaltliche Gespräche mit Betroffenen, Ärzten oder Anderen geführt. Natürlich geht jeder anders an die Sache heran. Julia informierte sich sehr genau und führte Gespräche mit Involvierten, während Bjarne sich so unvorbereitet wie ein realer werdender Vater in das Thema fallen lassen wollte. Durch unsere inhaltliche Auseinandersetzung wirkte sich die Stimmung des Films eher weniger aufs Set aus, dennoch gab es natürlich krasse Tage. Und obwohl ich die Stimmung letztlich als normal bezeichnen würde, war uns allen die ganze Zeit über bewusst, was für einen Film wir machen.

2. Das Thema der Pränataldiagnostik polarisiert zwischen Fluch oder Segen. Wie steht ihr dazu?
Carl: Man könnte die aktuelle Gesetzeslage so auslegen, dass sie sich gegen Menschen mit Behinderung richtet. Denn warum ist es bei einem Ungeborenen mit Behinderung erlaubt, dass eine Frau noch viel später abtreiben darf, als bei einem Kind ohne Gendefekt? Pränataldiagnostik ist weder zu verteufeln noch zu verherrlichen. Das Thema ist da und wir müssen uns dazu positionieren.
Johannes: Sobald der Stein ins Rollen gekommen ist, muss man Entschlüsse fassen. Auch hier steht man wieder vor einem Meer aus Entscheidungen: Lasse ich eine Fruchtwasseruntersuchung machen? Lasse ich weitere Tests machen, wenn die Nackenfalte auffällig sein sollte? Bis hin zur Frage: Möchte ich ein Kind bekommen, das von der Norm abweicht? Das ist das Fatale wie das Besondere an der Situation.

3. Wasser spielt eine wichtige Rolle im Film. Zwischen den einzelnen Szenen sieht man immer wieder Sequenzen eines Ungeborenen Kindes. Hat das eine tiefere Bedeutung?

Johannes: Die Aufnahmen aus dem Mutterleib zeigen einen echten Fötus und alles, was sich darum befindet, in einer Schwangeren gefilmt. Die Aufnahmen sind entstanden im Uniklinikum Gießen, wo ein Fetalchirurg einen minimal invasiven Eingriff bei einem Fötus mit offenem Rücken gemacht hat. Die eingeführte Kamera fungierte dabei wie ein Auge, weshalb so realitätsgetreue Bilder entstanden sind. Aufnahmen in dieser Form sind etwas vorher nie in Kinos dagewesenes und somit eine cineastische Premiere.

Sinnbildlich geht es darum, dass Band zwischen Mutter und Kind zu zeigen. Auch wenn es sich im Bauch der Mutter befindet, existiert es – mit Nase, Mund, Augen und allem was dazu gehört.

4. Welchen Anspruch hat „24 Wochen“, was würdet ihr gerne im Zuschauer auslösen?
Carl: Es ist insofern ein politischer Film, als dass er ein Thema sichtbar macht und Betroffenen eine Stimme gibt. Ich weiß nicht, ob ich Spätabtreibung als Tabu bezeichnen würde, aber es wurde de facto kaum darüber geredet. Es ging uns darum, Raum für ehrliche Diskussion zu geben, ohne zu verurteilen. Toll wäre es, Empathie und Verständnis für Astrid und den Schritt, den sie geht, zu erwecken. Es gibt Leute, die es kritisieren einen lebendigen Menschen zu (stockt) töten.

Johannes: Genau. Die Kernaussage von „24 Wochen“ ist es, dass man eine solche Entscheidung nur dann treffen kann, wenn man sie treffen muss – und zwar alleine. Ohne ein Dafür oder ein Dagegen.

Im Fokus steht zuerst einmal die emotionale Wucht des Filmes, damit ihn so viele Menschen wie möglich schauen, um sich daran anschließend mit der Thematik auseinandersetzen. Gesellschaftliche Diskussion ist notwendig.

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