Jetzt verreckt zusammen, was zusammen zerstört [Retro „Das deutsche Kettensägenmassaker“]

3. Oktober 1990. Die frisch vereinte Bundesrepublik feiert sich selbst in ihrer neuen Hauptstadt Berlin. Jubelnde Massen, historische Reden, pfeifende Feuerwerkskörper. Staatstragende Mimik von Kohl, Weizsäcker, Gentscher – den „Architekten der Einheit“. „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört“, prophezeite Altkanzler Willy Brandt bereits am 10. November 1989, während Tausende Ost- und Westdeutsche im schwarz-rot-goldenen Fahnenmeer in Einigkeit und Recht und Freiheit badeten. Ein historischer Moment. Wir sind wieder wer. Mal wieder.

 

„Wir müssen fliehen! Die Ossis kommen!“
Szenenwechsel: Dramatische Hintergrundmusik, weiße Schrift auf schwarzem Hintergrund: „Es geschah am 3. Oktober 1990. Tausende DDR-Bürger verließen ihre Heimat, um nach Westdeutschland zu ziehen. 4 % kamen niemals an.“
Der Einstieg wirkt noch vergleichsweise unscheinbar: Clara will von Leipzig in den Westen fahren, nachdem sie ihren notgeilen Mann abgestochen hat. Sie trifft Artur, quasi ihren „Westliebhaber“. Nun sind sie vereint, er „habe alles so schön vorbereitet“ und „liebe sie doch wirklich“.
Und wie ein Donnerhall beginnt dann die deutsch-deutsche Zerfleischungsorgie: Schädelspalter-Hank stürzt sich auf Küchenmesser-Clara, Gröhlhals-Brigitte zerkloppt Fleischzungen-Margit, Schlachtmesser-Alfred jagt Halbtot-Artur, Kettensägen-Dietrich zerfetzt Trabi-Sachsen und irgendwie kämpfen alle gegen alle und jeder gegen jeden. Auge um Auge, Darm um Darm. Animalische Bestialität in ihrer grotesktesten Form. Hauptsache, das Blut spritzt literweise in alle Richtungen.

 

An dieser Stelle näher auf die Handlung einzugehen oder auch nur von Plot zu sprechen, wäre übertrieben unnötig. Sie ist so absurd zerstückelt wie die Fleischklumpen im Motel „Deutsches Haus“ der ossijagenden Metzgerfamilie.
Was Christoph Schlingensief hier vor 20 Jahren vorlegte, war geradezu ein cinematischer Stinkefinger gegen die utopischen „Blühende Landschaften“-Versprechen. Hemmungslos bedient er sich bei allen Klischees billiger Splatter- und Horrorfilme, um mit seiner bestialisch-bösen Metaphernkeule gegen die neuentdeckte Schwarz-Rot-Gold-Euphorie auszuholen. Ein Wahnwitz für all diejenigen, die diesen blutrünstigen Humor zu verstehen wissen – für zarte Gemüter aber doch eher schwer verdaulich.

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