It’s time for enlightment – Kauf dir Erleuchtung [Dok „David wants to fly“]

„Jemand der weiß, wo’s lang geht, kann einen ganz schön in die Irre führen.“, schließt Jungregisseur David Sieveking seine autobiografische Dokumentation „David wants to fly“ ab. Der Jemand ist in diesem Fall sein Idol David Lynch. Der amerikanische Filmemacher, der scheinbar zur Werbemarionette der Organisation „Transzendente Meditation“, kurz: TM, wurde. Basierend auf dem Wissen des Gurus Marashi Mahesh Jogi, konnte sich Anfang der Siebziger aus dessen Bewegung eine weltweite, spirituelle und imperiale Großmacht entwickeln, die selbst Donovan, Ringo Starr und Paul McCartney zu überzeugten TM-Predigern machte.

Angelockt von einem TM-Seminar David Lynchs im tiefsten Iowa, gelangt der Regisseur, Autor und Darsteller Sieveking immer weiter in die verborgenen Geheimnisse der sektenähnlichen Organisation. Versprochene Unbesiegbarkeit, Weltfrieden, Gesundheit, Brüderlichkeit, Erleuchtung, der Himmel auf Erden. Die transzendenten Grenzen zwischen eiskalter Realität, Wahrheit und spiritueller Besessenheit, Sucht und Hörigkeit, die nur all zu oft TM-Anhänger in den finanziellen und psychischen Ruin trieben, verschwimmen auf Davids Reise auf der Suche nach Antworten immer mehr.

 

Der Himmel auf Erden?

Nach einem Jahr extremer Nonstop-Meditation muss Sieveking schließlich resigniert feststellen: „Ich stehe vor einem Trümmerhaufen. Ich verlor meine Freundin, den Respekt meines Idols und die TM-Oberhäupter und Anwälte David Lynchs drohen mir wegen meinem „ketzerischen“, „verleumdenden“ Film mit einer Klage. Beim Meditieren fühle ich mich unglaublich vereint – aber danach sitz ich trotzdem allein in meiner Bude.“

Er trifft Abtrünnige, unterhält sich mit Gurus und Mönchen, die ihn über die Weltherrschaftsmasche der TM aufklären, denn: „Guru sein heißt teilen, nicht verkaufen.“ Ein kompletter Gegensatz zu dem kapitalistischen System, mit welchem die Transzendente Meditation versucht, die „Gläubigen“ auszubeuten. Und langsam fragt sich David: Ist das der Himmel auf Erden? „Yogische Flieger“, die Deutschland unbesiegbar machen sollen? Woher kommen diese Ideen? Wer steckt dahinter? Was hab ich mir nur eingebrockt?

 

Tiefe, dunkle Abgründe

Die musikalische Untermalung von Karl Stirner lässt „David wants to fly“ einen wunderbar stimmigen Klangrahmen gewinnen. Durch die Kameraführung und eindrucksvollen Bilder von Adrian Stähli badet der Zuschauer auf der Beerdigung von Marashi in dessen Asche, drängelt sich durch die Marktgassen Indiens, erklimmt den Himalaya, läuft durch das riesige New York und sitzt mit David beim Kaffee in der Küche seines ranzigen Appartements in Berlin.

Der ideologisch anmaßende Ton der Transzendenten Meditation – erfüllt von Ausbeutung, Gehirnwäsche, Geschäft, Machtkampf und Lug und Trug – lässt ein deutlich größer als vermutetes Netzwerk hinter den Rajas, Maharajas, Predigern und Gurus erahnen. Die unfassbaren, schockierenden Geheimnisse hinter TM werden von Sieveking mit Pragmatismus und einer durchdringenden Skepsis aufgedeckt. Die zuvor unschuldig und unwissend dreinblickenden Kulleraugen verwandeln sich während Davids Plot- und Persönlichkeitsentwicklung in tiefe, dunkle Abgründe.

Spätestens dann wird nicht nur David klar: Jede 99-Cent-Lampe von Ikea scheint sinnvoller als jegliche spirituelle Erleuchtung durch eine bedeutungsschwangere Sektenspaßgesellschaft mit dem kreativen Namen „Transzendente Meditation“.

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