Vergessene Erinnerung (KF Dunkelrot)

Der, den du liebst ist ein anderer. Und der andere bin ich. Ich bin er für dich.

Aber hier ist nicht er der Wahnsinnige, sondern seine Frau die Kranke. Erich tut alles für seine Frau, sogar ihr ihren Liebhaber vorspielen. Denn Hannah hat Alzheimer. Frauke Thieleckes Kurzfilm ‚Dunkelrot‘ thematisiert einfühlsam den Alltag einer Betroffenen und den ihres Mannes. Dabei geht es nicht nur um die Krankheit, sondern vor allem um die Liebe. Die ist bei beiden lebendig und groß, aber Erich weiß nicht, dass die Gefühle seiner Frau einem anderem Mann gehören. Er opfert sich für Hannah auf und opfert ihr letztendlich auch den Betrug seines Herzens. Obwohl sie ihn beim falschen Namen nennt und mehr ein tollpatschiges Kind als eine erwachsene Frau ist, liebt er und begehrt er sie.

Thielecke unterstreicht die emotionale Gewaltigkeit mit kraftvollen Bildern. Symbolisch für die verschwommen Erinnerungen und unklaren Bilder in Hannahs Kopf zeigt die Regisseurin im Vorspann ein tanzendes Paar. Die Einstellung ist in einem Rot-Ton gehalten und unscharf. Der Zuschauer kann die tanzenden Figuren keinen Personen zuordnen, genau wie Hannah niemanden identifizieren kann.

Dunkelrot ist wichtig

Als Erichs Frau im im Kernspintomographen liegt, erklärt ihm der Arzt: „Dunkelrot, das wird gespeichert. Diese Gehirnzellen vergessen nicht. Denn dunkelrot ist wichtig. Aber das Gehirn macht keinen Unterschied zwischen schön und hässlich.“ Um Hannahs Erinnerung hervorzukramen, will er mit ihr verreisen. Doch in den Koffern findet er Erinnerungen an alte Reisen. Hannahs Urlaubsfotos mit einem anderen Mann. Er ist entsetzt. Doch wie soll sich eine Demenzkranke für Vergangenes rechtfertigen? Erich erkennt, dass er nicht dunkelrot ist – für Hannah ist er nicht wichtig. Die Farbe der Liebe und die Liebe selbst gebührt dem Italiener Andrea. Der Schock Erichs wird durch die Farbgebung umgekehrt – er trinkt Rotwein um zu vergessen. Gekonnt setzte die Regisseurin subtile Hinweise ein: Neben der Rolle des liebenden Ehemannes hat Erich auch jene einer Mutter, die sich um ihr hilfloses Kind sorgt. Er gleicht der Pelikanmutter, von der im Hintergrund im Fernsehen die Rede ist: „Die Pelikanmutter lässt ihr Junges nicht aus den Augen.“ Hannahs Untreue wird bereits durch die Musik angedeutet. Zu Giacomo Puccinis Musik schaut Hannah ihrem Mann tief in die Augen und es kommt fast zu einem Kuss. Doch dann reißt die Musik ab und mit ihr Hannahs Gedanken an ihre Liebe. Sie sieht nicht mehr Andrea vor sich, den Mann, den sie küssen möchte.

Lichtende Erinnerung

„Die Blätter fallen von den Bäumen“, sagt Erich bei einem Spaziergang am Seeufer. Ebenso wie die Laubbäume lichten sich die Erinnerungen seiner Frau. Ihr geistig verwirrter Zustand wird auch durch ihr äußerliches Erscheinungsbild verstärkt: Ähnlich einer Insassin einer Psychiatrie hat sie kurz geschorene Haare und läuft im Pyjama wie eine Irre durch den Park. Dort spricht sie wildfremde Leute an, ob sie nicht ihr Mann seien. Plötzlich steht dieser hinter ihr. Statt ihn zu erkennen, strahlt sie Erich an, sagt dazu aber den Namen ihres Urlaubsflirts. Er hält kurz inne, umarmt sie und antwortet: „Si – ja, ich bin Andrea.“

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