Nackte alte Frauen und ungekämmte bewaffnete Männer (SF Hundstage)

Ulrich Seidls Film ‚Hundstage‘ über das „normale“ Leben einiger ausgewählter Einzelpersonen und Gruppen wird im Rahmen der Länderreihe Österreich beim diesjährigen filmkunstfest MV gezeigt.

Die leicht verrückte Anhalterin Anna, von Maria Hofstätter brilliant penetrant gespielt, Klaudia (Franziska Weisz) und Mario (René Wanko), die eine Beziehung zwischen gegenseitigen Beschuldigungen und Versöhnungssex im Auto führen, der Alarmanlagenvertreter Hruby (Alfred Mrva), dem im Verlauf des Films eine wichtige Rolle zukommt und andere bisweilen heftig überzogene Charakterstudien haben eines gemeinsam:


Sie fristen ihr Dasein in einem Wiener Vorort bei drückender, schwüler Hitze – den titelgebenden Hundstagen.

Wien an einem Wochenende

Der Regisseur lässt den Zuschauer unzensiert an dem Privatleben seiner Figuren teilhaben. Ein Witwer (Erich Finsches) beispielsweise, der in seinen alltäglichen Beschäftigungen teilweise an die Titelfigur aus Michael Schorrs ‚Schultze gets the Blues‘ erinnert, versüßt sich seine Restlebenszeit mit einer Haushälterin (Gerti Lehner), zu deren Aufgaben auch das leibliche und körperliche Wohl ihres Arbeitgebers zählen.

Klar, es ist ein österreichischer Film und als solcher hat er natürlich das Recht – gerade da hauptsächlich das Leben des Prekariats gezeigt wird -, die österreichische Sprache mit all ihren linguistischen Besonderheiten zu benutzen. Doch ist es für den einheimischen Muttersprachler in manchen Szenen einfach zu unverständlich, worunter der Filmgenuss leidet. Ein Beispiel ist das Zusammentreffen von Vikerl (Viktor Hennemann), seiner Geliebten (Christine Jirku) und einem angetrunkenen Freund Vikerls (Georg Friedrich) mit anschließenden Sadomasospielchen. Nur die Handlungen der Akteure lassen erahnen, worum es in dieser Einstellung geht.

Egal, wie man den Film nennen möchte – provokant, experimentell oder ehrlich -, bleibt er doch vor allem eins: nicht massenkompatibel. Die Geduld wird auf die Probe gestellt, das Auge wird beleidigt und eine richtige Handlung muss auch mühsam gesucht werden. Nun kann natürlich eingewandt werden, dass Kunst das darf, besser noch: soll. Regeln brechen, Konventionelles ärgern und den Zuschauer herausfordern. Durch die Darstellung von Figuren, die nicht dem medialen Schönheitsideal entsprechen und expliziter Schilderung verschiedener intimer Handlungen wird auch das eigene Wertesystem auf die Probe gestellt.

Venedig gegen MV

Jeder Mensch hat eine andere persönliche Definition eines guten Filmes und ob ‚Hundstage‘ viele dieser Vorstellungen trifft, ist fraglich, wird sich aber im Laufe des Filmkunstfestes zeigen. Immerhin wurde Seidl, der zusammen mit Veronika Franz das Drehbuch schrieb, für dieses ernste Werk 2001 in Venedig mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet. Also sollte man sich darauf einlassen und seine Überzeugungen prüfen. Ein Experiment ist es allemal.